Policy Brief: Wir brauchen eine digitale Agenda für unsere Schulen!
Der alltägliche und selbstverständliche Umgang mit digitaler Technologie prägt die Lebenswelt und das Kommunikationsverhalten junger Menschen. Die ‚digital natives‘ kennen kein Leben ohne digitale Dimension, während der Unterricht an deutschen Schulen, abgesehen von Pilotprojekten und den Aktivitäten einzelner Vorreiterschulen, noch weitgehend analog organisiert ist. Damit vertieft sich auf bedenkliche Weise der Graben zwischen einer digitalisierten Alltagswelt der Schüler und den Ansprüchen und Erfordernissen der Bildungsinstitutionen.
Noch immer empfinden viele Lehrkräfte an deutschen Schulen digitale Technologie vor allem als konzentrationsschädliche Ablenkung. Von einer systematischen und pädagogisch sinnvollen Einbindung digitaler Lernformate ist die Praxis in den meisten Schulen weit entfernt. Dabei bietet die Digitalisierung aus pädagogischer Perspektive große Potenziale, um den Herausforderungen der Schule in einem immer heterogeneren Umfeld zu begegnen. Die Politik hat den Bedarf einer Modernisierung des Schulalltages mittlerweile erkannt und ihn im Rahmen der „Digitalen Agenda“ auf die politische Tagesordnung gesetzt.
Der pädagogisch reflektierte Einsatz digitaler Lernformate bietet nicht nur neue Möglichkeiten des kollaborativen Lernens über Orts- und Klassengrenzen hinweg, sondern eröffnet auch große Chancen für eine bessere individuelle Förderung und Leistungsdiagnostik und bereitet die Schüler nicht zuletzt auf einen globalen und digitalisierten Arbeitsmarkt vor. Im Interesse der zukünftigen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit wird es sich Deutschland nicht leisten können, diese Potentiale weiterhin ungenutzt zu lassen.
Denn jene Arbeitswelt, in der sich die heutige Schülerschaft wird behaupten müssen, ist internationaler und kompetitiver als jemals zuvor. Berufsprofile und Karrierewege werden vielfältiger, verändern sich ständig und erfordern deshalb vor allem die Fähigkeit, sich schnell und selbstständig Wissen anzueignen. Entsprechende IT-Kenntnisse sind dabei nicht mehr nur in spezifischen Fachrichtungen, sondern in nahezu jedem Berufsfeld von zentraler Bedeutung. Digitale Kompetenzen bilden die Grundvoraussetzung für Teilhabe am politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Leben.
Die Integration neuer Technologien in den Unterrichtsalltag ist entscheidend für die Entwicklung dieser Kompetenzen. Dabei geht es nicht nur um die Nutzung technischer Geräte und deren Anwendungen, sondern vor allem auch um einen reflektierten und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien. Schüler müssen lernen, die Informationsmengen, die durch das Internet verfügbar sind, sinnvoll zu filtern. Orientierungswissen und Urteilsfähigkeit im digitalen Raum, die Fähigkeit zur kritischen Einordnung von Informationen, der eigenständigen Problemlösung und Weiterbildung sind mehr denn je Teil des Bildungsauftrags.
Ein Fachunterricht „Digitalkunde“ könnte spezielle Fähigkeiten wie etwa das Programmieren vermitteln. Hier sollten idealerweise auch Themen wie der Schutz der Privatheit, Chancen und Risiken von ‚Big Data‘ sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen, ethischen und gesellschaftlichen Aspekte der Digitalisierung adressiert werden. Noch wichtiger als ein solches Schulfach wäre es aber, die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung bzw. den Einsatz digitaler Medien systematisch in den gesamten Schulalltag zu integrieren.
Bei der Digitalisierung unserer Schulen geht es nicht nur um die Vermittlung digitaler Kompetenzen. Innovative Anwendungen erleichtern auch den Lehrkräften die Organisation des Schulalltags, vor allem den Informationsfluss zwischen Kollegen, Schülern und Eltern sowie den Umgang mit der enorm gewachsenen Vielfalt in den heutigen Klassenzimmern. Statt für jeden das Gleiche und damit Langeweile oder Überforderung für die meisten Schüler, heißt die Devise nun: Für jeden das Passende. Die Digitalisierung ermöglicht es, Lernweg, -stil, und -geschwindigkeit an individuelle Bedürfnisse anzupassen.
Es eröffnen sich neue didaktische Ansätze: Über digitale Lernplattformen können Schüler in Echtzeit in virtuellen Gruppen zusammenarbeiten. Gleichzeitig ermöglichen digitale Technologien dem Lehrer, Lernfortschritte individuell zu erfassen und entsprechende personalisierte Hilfestellungen anzubieten. Lernfähige Software erlaubt die Anpassung der Aufgaben im Lernverlauf („adaptive learning“) und fördert Binnendifferenzierung und individualisierte Lehre auch in größeren Klassen.
Unser Bildungssystem steht bei der Integration neuer Technologien vor großen Herausforderungen. Um diese Aufgabe zu meistern, bedarf es der richtigen infrastrukturellen und politischen Rahmenbedingungen und Anreize, aber auch der Bereitschaft der Schulleiter und Lehrkräfte vor Ort, digitale Technologien nicht nur anzuschaffen, sondern auch zu nutzen und sich dazu fortzubilden.
Eine flächendeckende und sichere IT-Infrastruktur für alle Schulen ist die Grundvoraussetzung für digitale Innovationen. Neue Lernformate werden nur dann erfolgreich sein, wenn deren Fokus nicht auf dem technisch Möglichen, sondern auf dem pädagogisch Sinnvollen liegt. Um den nötigen Strukturwandel an den Schulen zu ermöglichen, muss die Qualität der Lernangebote ebenso sichergestellt werden wie das medienpädagogische Know-How der Lehrer. Auch die wichtige Frage nach dem sicheren Umgang mit Schülerdaten muss beantwortet werden.
All dies wird weder kurzfristig noch ohne entsprechende Investitionen, politische Rahmenbedingungen und individuelle Anstrengungen an den Schulen machbar sein. Dieser auf Initiative der stiftung neue verantwortung sektorübergreifend entstandene Policy Brief formuliert einige zentrale Aspekte einer „Digitalen Agenda für unsere Schulen“ und möchte Impulse zu der Diskussion geben, wie digitale Innovationen in der Schule gelingen können, welche Chancen sich eröffnen und welche Hürden zu nehmen sind.
Die 8 Kernempfehlungen des Papiers lauten:
– Bildungeinrichtungen Priorität beim Breitbandausbau geben
– Professionelle IT-Infrastruktur und IT-Management an Schulen einführen
– Digitale Kompetenzen der Lehrkräfte stärken
– Transparenz über die Qualität digitaler Lernformate schaffen
– Datenschutz und -souveränität gewährleisten
– Urheberrecht ans digitale Zeitalter anpassen
– Praxisbezogene Wirksamkeitsforschung fördern
– Digitale Agenda der Bildungspolitik als Investititon in die Zukunft verstehen
Das Hervorheben der Potenziale digitaler Technologien im Bildungsbereich ist mittlerweile zu einem Allgemeinplatz geworden im Digitalisierungsdiskurs geworden. Auch die Stärkung der Medienkompetenz von Lernern und Lehrern wird regelmäßig als notwendige Antwort auf die bildungspolitischen Herausforderungen der Digitalisierung gefordert. Hierbei geht es nicht nur um eine Qualifizierung für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Digitale Kompetenzen bilden auch die Grundlage für die Bürgergesellschaft im 21. Jahrhundert. Denn nur wer das Internet versteht, kann auch seine Rechte im digitalen Raum einfordern, seine Daten vor Missbrauch schützen und informierte Entscheidungen zum eigenen Online-Verhalten treffen. Nun müssen auf die Erkenntnis endlich Taten folgen: Wir brauchen eine digitale Agenda für unsere Schulen.
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